Noir meine Liebe
- Stjeels Squire

- 16. Dez. 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Juni
Wir Gestern kannten wir uns noch nicht. Du Du, nachts unterwegs auf der Strasse, im Regen über das Kopfsteinpflaster. Den Blick gesenkt, den Hut tief ins Gesicht gezogen, den Mantelkragen hochgeschlagen. Die Hände in den Taschen. Vor Dir fällt das flackernde Neonlicht einer Kellerkneipe auf das spiegelnde Trottoir. Du eilst die Treppe hinab, Schutz suchend vor der Nässe und Furcht, die Dir langsam den Kragen hinunter kriechen. Die Tür quietscht in den Angeln. Es ist genau so wie Du vermutet hast. Schummriges Licht, rote Lampenschirme auf den Zweiertischen. Es riecht nach kaltem Zigarettenrauch und abgestandenem Bier. Wenige Gäste, Paare, im Halbdunkel. Im Hintergrund ein Klavier, Gesang - nicht jeder Ton perfekt. Du hängst den Hut und den Mantel an die Garderobe und bestellst im Stehen einen Whisky an der Bar. Dunkles lackiertes Holz, Messing, Flaschen vor Spiegeln, der Barkeeper mit Weste poliert Gläser. Du setzt Dich auf einen Barhocker und nimmst einen Schluck, die Tür im Blick. Der Drink brennt in der Kehle, langsam wird Dir warm. Du fühlst Dich beobachtet, kannst aber niemanden ausmachen. Noch ein Schluck und eine neue Bestellung. Warum hast Du Dich ins Licht an die Bar gesetzt? Was wenn ... Nicht drüber nachdenken. Er kann nicht wissen, wo Du bist. Du tastest nach der Pistole in Deiner Tasche. Beruhigend. Blickt die Sängerin Dich an? Sie senkt schnell den Blick, sobald Du sie ansiehst. Eigentlich ganz passabel das Mädel, bei genauerer Betrachtung sogar anziehend. Hübsche Beine, das Kleid bis zu den Oberschenkeln hochgerutscht, man sieht die Strumpfhalter. Scheu sieht sie aus wie sie auf dem Barhocker neben dem Klavier sitzt. Doch, wieder dieser Blick. Aus großen rehbraunen Augen, melancholisch, fast flehend. Nein, mach Dir nichts vor, bloß Einbildung. Konzentrier Dich. Besser den Blick zur Tür. Sie lehnt sich zu ihrem Partner und flüstert ihm etwas ins Ohr. Oder er ihr? Ob die beiden zusammen sind? Jetzt stimmt er ein neues Lied an und sie sieht Dich unverwandt an. Ihr Blick weicht nicht mehr aus. Es ist als würde sie nur für Dich singen, ihr Blick hypnotisierend. Dir wird heiß, vom Whisky? Du lockerst den Hemdkragen. Welches Lied? Über Einsamkeit, verlorene Liebe. Als würde sie den Text aus Deiner Seele lesen. Ihr starrt Euch unverwandt an. Singt sie noch? Du kannst es nicht sagen. Langsam rutscht sie vom Hocker und kommt direkt auf Dich zu. Setzt sich auf den Barhocker neben Dich. Ihr Geruch weht Dir zart in die Nase, Kardamon, herb, vertraut. Sie nickt dem Barkeeper zu. Er stellt ein Glas auf den Tresen und zieht eine Flasche hervor. Sie schenkt sich selbst ein. Du folgst ihren Bewegungen, anmutig. Zärtlich streicht sie über das Glas. Ihre Nähe nimmt Deine ganze Aufmerksamkeit ein. Schweigend sitzt ihr nebeneinander. Ich Ob Ed irgendwann diese Tür ölt? Er sagt sie unterstreicht den Klang meiner Stimme, Idiot. Ich glaube er lässt mich nur aus Mitleid hier auftreten. Naja, eigentlich sollte ich ihm dankbar sein. Er zahlt gut und verlangt keine Zusatzleistung. Und sonst würde ich vermutlich auf der Strasse sitzen, oder am Bordstein stehen. Grässliche Vorstellung. Wieder so ein Gangstertyp. Was haben die nur mit Ihren Hüten und Mänteln. Und diese Gamaschen, pfff. Aber der scheint nervös zu sein, setzt sich mit Blick zur Tür. Lässt den Blick unstet schweifen. Ich kenne diese Typen, was habe ich sie satt. Obwohl der hier anders ist, nachdenklich, gebildet, rau, aber harmlos. Mein Beschützer? Ach lass es, so waren sie alle, am Anfang, in Deiner Vorstellung. Und wenn er doch anders ist? Der eine der mich aus meiner Verzweiflung holt? Ed flüstert mir ins Ohr „Der ist es, los jetzt!“ Ich spule mein Programm runter, besser als sonst, mir stehen Tränen in den Augen, irgendwas ist anders. Mir wird warm von seinem Blick, der Tiefe seiner Augen. Es ist als könnte ich in seiner Seele lesen. Er springt an und ich habe Angst um ihn. Du Gebannt starrst Du auf das Mädchen. Du kannst es noch nicht fassen, wie es kam. Wie ein Sturm. Nur fetzenweise zucken Bilder durch Deinen Kopf. Sie zieht Dich auf die Strasse, die Treppen hoch - ein Bett. In der Erinnerung nicht viel, nur Ihr Duft, das Gefühl angekommen zu sein. Unglaublich! Du willst sie beschützen, sie retten. Wäre es voreilig Ihr Deine Liebe zu gestehen? Tausend Gedanken rauschen durch Deinen Kopf. Diese Tür ist geölt, öffnet sich leise. Der Schuss ist das letzte was Du hörst, bevor Deine Seele Deinen Körper durch das Loch in Deinem Kopf verlässt. Ich Das Pulver in seinen Drink zu schütten war einfach. Irgendwie tat er mir leid. Er sah mich so verliebt an. Sollte er vielleicht doch der Eine gewesen sein? Willenlos folgte er mir in das vereinbarte Zimmer und schlief sofort ein. Er hatte nicht viel bei sich, die Uhr und die Pistole ließen sich gut versetzen und würden das nötige Kleingeld für das Baby bringen. Der Killer kam lautlos. Das Geld warf er mir auf den Boden. Ich sammelte es auf und wischte das Blut von den Scheinen. Der andere lag dämlich lächelnd auf dem Bett. Das Gehirn an der Wand verteilt. Armer Teufel. Ich zog die Tür hinter mir zu und stieg die Treppen hinab. Morgen würde wieder ein langer Arbeitstag werden. Wir Gestern kannten wir uns noch nicht. Ich Ed hat die Tür immer noch nicht geölt. Meine Stimme ist brüchig. Der Mantel mit Hut ist heute klein, Boxergesicht, er sieht brutal aus, aber das täuscht sicher. Er hat ein harmloses Gesicht. Mein Beschützer? Mach Dir nichts vor, Du wirst ihn nie finden. „Der ist es. Los jetzt!“ Diesmal ist es anders. Wir sitzen schweigend an der Bar und ich habe Angst um ihn.

Münster Ingolstadt, Stjeels Squire September 2024
